Er ist bereits bekannt als Konzertpianist. In welcher Gefahr er geschwebt hat, erfährt die Öffentlichkeit erst später. Erst Schnee und Eis, dann die "Sündflut" . Wie kommt es zu diesem Extremhochwasser, das als Jahrtausend-Hochwasser in die Geschichte eingeht und vor dem sich auch der junge Beethoven in Bonn aus dem Fenster der 2. Etage des elterlichen Wohnhauses in der Rheingasse 7 retten muss? Wenn Ludwig van Beethoven damals wie viele seiner Zeitgenossen umgekommen wäre, hätte es die 5. Sinfonie oder die Vertonung von Schillers „Ode an die Freude" nicht gegeben...

im WDR Zeitzeichen 27.02.2024  geht Almut Finck zusammen mit ihrem Interviewpartner Professor Dr. Hans-Rudolf Bork (Geograph und Geoarchäologe) dieser Frage nach.

Im Sommer 1783 kommt es auf Island zu einem der größten und längsten, vor allem aber folgenreichsten Vulkanausbrüchen der jüngeren Erdgeschichte - mit Auswirkungen auch auf Deutschland. Neben Lava und Aschen treten fluor- und schwefelhaltige Gase aus, die in weiten Teilen der Welt nicht nur die Luft verpesten, sondern auch die Sonneneinstrahlung reduzieren. In der Folge kommt es im Herbst 1783 in Mitteleuropa zu einer merklichen Abkühlung. Der folgende Winter wird eisig: In Heidelberg werden minus 30 Grad gemessen, Rhein und Neckar frieren zu. Und die Kälte nimmt kein Ende, selbst in Köln soll die Schneedecke eineinhalb Meter hoch sein. Viele Menschen frieren und hungern, denn ihnen gehen die Vorräte aus. Im Februar kommt die Wärme zurück - allerdings viel zu schnell. Aschermittwoch 1784 kommt es zur "Sündflut": Schmelzwasser und Eisschollen bewegen sich erst langsam, dann immer schneller flussabwärts. Das Eis bildet immer größere Barrieren, Täler laufen voll Wasser, Häuser versinken in den Fluten.  Auch in Bonn sind die Schäden dramatisch. In der Bonner Altstadt liegt die Scheitelwelle bei 14,73 Metern. Sie erreicht schließlich auch die im 2. Stock gelegene Wohnung der Familie van Beethoven. Über eine Leiter aus einem Fenster in den Hinterhof können sich die Eltern und ihre zwei Söhne gerade noch retten.

Das Eistreiben im Polarwinter 1941, hier ein Bild ais unserem Archiv, hat vielleicht ähnlich ausgesehen.

 

Das Rheinhochwasser im Februar 1784 gilt als ein Jahrtausendereignis, weil im kollektiven Gedächtnis die Schäden vergleichsweise verheerend, ja apokalyptisch waren.

Der 27.2.1784 war der Aschermittwoch dieses Jahres, also der kirchliche Zeitpunkt von Buße und Umkehr. „Die Kirche wusste aber auch die Hochwasser für die eigene Sache zu verwenden: Katastrophale Folgen wurden in so genannten Wasserpredigten als Zornrute Gottes gedeutet, die durch menschliches Fehlverhalten heraufbeschworen worden waren" (Rüdiger Glaser„Klimageschichte Mitteleuropas" 2008: S. 218-219).  So wurde dieses Hochwasser als Sündflut bezeichnet!


In den Aufzeichnungen der letzten zwei Jahrhunderte für den Rhein wurde niemals auch nur annähernd ein solcher Hochwasserstand wie Ende Februar 1874 festgehalten. Zum Vergleich: Im Februar 2024 erreichte der Pegel bei Bonn nur 6,14 m. Den höchste seit 1900 gemessene Pegelstand erreichte der Rhein bei Bonn mit 10,13 am 23.12.1993.


Der Winter 1783/1784 war gekennzeichnet durch eine Abfolge ungewöhnlicher Anomalien. Extreme Kälte herrschte ab Ende Dezember 1783. Die Flüsse waren tief zugefroren. Zudem war der Winter extrem schneereich. Der plötzlicher Warmlufteinbruch am 23.2.1784 begleitet von einer starken Schneeschmelze mit sehr hohen Regenfällen war dann das auslösende witterungsdynamische Moment für das Jahrtausendhochwasser. Das Flusseis brach, türmte sich auf und staute das Wasser auf. Es entstand eine Hochflut, wie sie die Bevölkerung bis zu diesem Zeitpunkt nicht kannte und wie sie auch nicht im kollektiven Gedächtnis der Bevölkerung existent war. Für viele Städte an Rhein und den Nebenflüssen liegen nahezu minutiöse Berichte zum Ablauf der Flutkatastrophe mit Folgen für die Menschen, Deiche, Schiffe und Brücken vor. Hier zwei Auszüge zum Raum Emmerich bzw. Uerdingen:

Nach einem heißen und trockenen Sommer und einem regnerischen Herbst setzte Anfang November strenge Kälte bei NO ein, und am 11. Dezember 1783 war der Strom auf 4 Fuß gefallen und mit schweren Eisfeldern bedeckt. Bald hatten sich die Maas, die Waal, der Leck und der ganze Niederrhein gesetzt, von Ort zu Ort mit höherem Wasserstande, bis Köln auf 18 Fuß, was bewirkte, daß die Eisschollen 18-25 Fuß hoch „ganz compact aufeinandergeschoben und durch den während dem Monat Januar noch fortdauernden heftigen Frost gleichsam zu einer einzigen Masse zusammengefrohren waren". Auch im Februar 1784 war die Kälte anfangs noch sehr streng, und es gab starke Schneefälle. Dann begann es am Niederrhein andauernd zu regnen, und am 27. Februar wurde bekannt, „daß das Eis auf dem Oberrhein, vorzüglich in der Gegend von Köln, Mülheim usw. sich beweget, jedoch nicht durchgebrochen, das Wasser aber stündlich sich erhöhe". Am 29. Februar erfolgte die erste Bewegung des Eises bei Duisburg. Bei hohem Oberwasser saß das Eis unten fest. „Unter schrecklichem Krachen und Getöse erfolgte der Eisaufbruch. Bei Emmerich hatten sich Eisfelder von 1-3 holländischen Morgen Größe bei einem Pegelstand von 16 gegeneinander geschoben und sich zu  Bergen bis zu 20 Fuß hoch getürmt. Es war ein fürchterlicher Anblick, denn die Eisschollen waren nicht wie bei sonstigen Eisgängen in kleine Stücke zerbrochen, sondern waren in riesigen Blöcken geblieben. Als das Eis sich wieder in Bewegung setzte, stieg und stieg die Flut, und die Glocken von Emmerich riefen zum Deichschutz. Der Huthumpsche Deich wurde bis auf den Grund weggespült, die Spijcksche Gierbrücke ganz zerstört und bis auf die Deichkrone hinaufgeschoben, wo sich dann später Eisberge auf sie legten. Der Strom stand mit der Krone des Spijckschen Deiches gleich hoch, und so weit das Auge reichte, sah man nichts als Eis welches sich in dem dunkelbraun gefärbten Wasser kaum merkbar fortbewegte". Vom jenseitigen Ufer hörte man Hilferufe von Menschen, die auf den Dächern saßen. Von überall her tönten die Notglocken und mischten sich mit dem Getöse der zusammenkrachenden Eisberge, zwischen denen man Schiffsreste, Hausteile und Möbel treiben sah. Und immer noch wuchs und wuchs der Strom. Die eifrigsten Bemühungen der Menschen, die Deiche zu halten, waren bei dieser Katastrophe ohne Erfolg, und schließlich kümmerte sich auch jeder nur noch um das eigene Leben. (Mayer 1956, S. 189-190)