Am 17 Juli ist es so weit. Gestern ist Troll ins Wasser gekrant worden und nun geht es endlich auf Törn.
"Ihr habt da was Blaues am Rumpf" ruft ein Angler am Ufer. "Macht nichts" geben wir zurück. Abends in Münster-Fuestrup sehen wir es dann auch. Ein Stück des Teppichbodens, der Troll beim Einkranen schützen sollte, klebt in der Unterwasserfarbe. Dann war sie doch vielleicht noch ewas zu frisch? Aber die Eigner waren ja auch zu ungeduldig nach mehr als 10 Monaten in der Werft.
Durch den Datteln-Hamm-Kanal, den Dortmund-Ems-Kanal, dem Mittelland-Kanal, den Elbe-Seiten-Kanal erreichen wir ...
... das Schiffshebewerk Scharnebeck bei Lüneburg. Auf Tuchfühlung hinter EDDI, einem kleinen Schubschiff, das hier die Leichter der Koppelverbände in das Hebewerk bugsiert, liegen wir im Trog. In 3 Minuten werden die 38 m Höhenunterschied vom Kanal zur Elbe überwunden. Immer wieder sehr beeindruckend!
Ein kurzes Stück hinüber nach Lauenburg und wir erreichen den Elbe-Lübeck-Kanal. Er folgt dem Verlauf seines Vorgängers des Stecknitzkanals auf dem seit dem 15 Jahrhundert Salz aus Lüneburg nah Lübeck transportiert wurde. Die Fahrt dauerte seinerzeit sensationell schnelle fünf Wochen.
Beim Bau des Elbe-Lübeck-Kanals um 1900 gab es entlang der Trasse noch keine Stromversorgung. Dampfmaschinen, wie beim Nord-Ostsee-Kanal, wären zu teuer geworden. Friedrich Ludwig August Hotopp kam auf die geniale Idee, die sechs Schleusen und eine Hubbrücken lediglich durch Ausnutzen der Wasserstandsdifferenz zu betrieben. Dabei wird in Druckkesseln Luft mit Über- und Unterdruck gesammelt. Zur Steuerung der Schleuse genügen drei Ventile. Es gibt weltweit nur noch 9 nach diesem Prinzip betriebene Schleusen. Bis heute im Einsatz, funktionieren die Hotopp Schleusen problemlos und sind ein faszinierendes Denkmal der frühen Industrialisierung.
Zwei Tage später stellen wir in Lübeck den Mast. Früher hätten wir ihn einfach angehoben und nach hinten gerollt, heute wären 2 Wochen "Rücken" danach sicher. Das Angebot von drei gut gebauten dänischen Bootsnachbarn lehnen wir trotzdem ab, denn wir haben inzwischen eine rückenschonende Technik gefunden: Wir setzen die Jütt als Kran ein. Dabei wird sie über zwei Leinen und die Winschen vor und zurück bewegt. Nach zwei Stunden steht der Mast, die Segel sind angeschlagen und wir sind wieder segelklar.
In Lübeck wird unsere Crew durch Sohn und Enkel verstärkt. Wir segeln nach Travemünde. "Dort bekommt ihr am Tag vor der Travemünder-Woche keinen Platz" waren wir gewarnt worden. Aber mit nur 2,82 m Breite passen wir im Passathafen zwischen die enger stehenden Pfähle, dort, wo es für größere Yachten zu schmal ist. Es ist gut, ein kleines Boot zu haben.
Natürlich ist ein Besuch der berühmten PASSAT traditionell Programmpunkt. Im Verlaufe der Reise werden wir noch die GORCH FOCK und das SCHULSCHIFF DEUTSCHLAND besuchen. Diese Großsegler sind immer wieder Höhepunkte auf unserem Törn.
Über Poel, Wismar und das Salzhaff erreichen wir Kühlungborn. Dort müssen wir natürlich mit der Bäderbahn Molli fahren. In Bad Doberan wird der Zug langsamer und die Dampfpfeife wird hektischer. Wir fahren mitten durch die Hauptstraße.
Der Kurzurlaub von Sven und Lyonel ist vorbei und wir sind wieder alleine. Nicht ganz, denn in der "Yachthafenresidenz Hohe Düne", gegenüber von Travemünde, liegt die Targa 44 VAYA CON DIOS 3. Wir hatten die Schweizer mit ihrer Motoryacht 2018 in England kennengelernt. Claudia, eine begnadete Fotografin. Rudolf, ein ehemaliger Trimaran- Segler, von dem der Spruch stammt "Es gibt Motorboote mit und ohne Mast". Und tatsächlich beobachten wir immer wieder meist größere Segelyachten, die bei schönstem achterlichen Wind motoren, vom Kreuzen ganz zu schweigen.
Nach einem sehr unterhaltsamen Abend - und nahdem ich noch schnell am Vormittag den undichten Deckel des Fäkatanks gegen einen Neuen getauscht habe - nehmen wir Abschied und segeln bei achterlichem Wind mit flotter Fahrt vorbei am Darß nach Osten. Bei Sonnenuntergang erreiche wir den Dornbusch, die Nordspitze der Insel Hiddensee.
Zu Beginn ist das Fahrwasser noch mit beleuchteten Tonnen versehen und es gibt sogar ein Richtfeuer. Im Viter Bodden geht es dann nach Backbord Richtung Breetzer Bodden und nach Steuerbord Rchtung Hiddensee. Hier sind die Tonnen nur noch sehr sparsam und funzelig beleuchtet. Während der Leuchtturm Dornbusch seinen blendenden Strahl durch die Nacht sendet, tasten wir uns im Schritttempo mit dem "Elektroschocker" (Kartenplotter auf dem iPad) von Tonne zu Tonne. Diese haben immerhin einen reflektierenden Streifen, so dass Barbara mit der Taschenlampe die Tonnen suchen und anleuchten kann. Um Mitternacht liegen wir fest im Hafen von Kloster.
Am Tag darauf segeln wir nach Stralsund, wo wir mit Ulla und Thomas verabredet sind, die nun ihren Lebensmittelpunkt im nahen Törpin haben, mit eigenen Hühnern und Bienen.
Die GORCH FOCK I liegt im Mondschein. 1933 als Schulschiff gebaut, wurde sie in den letzten Kriegstagen 1945 durch ein Sprengkommando der deutschen Wehrmacht iim Strelasund versenkt. Zwei Jahre später wurde sie gehoben und fuhr ab 1951 unter sowjetischer Flagge als TOWARISCHTSCH. 2003 erwarb der Tall-Ship Friends e.V. die stark sanierungsbedürftige Bark, transportierte sie mit einem Dockschiff nach Stralsund und ließ auf der dortigen Volkswerft die Schwimmsicherheit wieder herstellen. Die Arbeit von unzähligen Freiwilligen ist für den laufenden Erhalt und die weitere Instandsetzung des Schiffes nötig, das nun wieder ihren alten Namen trägt.
Der Wind kommt aus Nordosten, als wir nach ungezählten Kreutzschlägen über den Greifswalder Bodden Wiek erreichen. Wir haben die Klappbrücke klapperiger in Erinnerung und tatsächlich wurde sie 1994 in 8-monatiger Bauzeit für 1,6 Millionen DM generalinstandgesetzt.
Fährt man von hier über den Greifswalder Bodden nach Norden, vorbei an der Insel Vilm in den Having, so erreicht man Baabe. Als wir dort liegen, fährt eine viel größere Segelyacht hinter uns vorbei und verschwindet im einem schilfgesäumten Flüsschen. Wo die wohl hin will? Wir verfolgen das AIS Signal. Sie fährt immer tiefer in den Selliner See, für den unsere Karte nicht einmal mehr eine Tiefe angibt. Schließliech kommt sie inmitten anderer AIS Signale zum Stehen. Da ist ein Hafen!
So mache wir uns auch auf den Weg und erreichen über eine 2 m tiefe, gebaggerte Rinne den Hafen Selin, der erst 2018 neu eröffnet wurde. Sellin ist ein sehr lebendiges Seebad mit Steilküste und Seebrücke.
Wir laufen am Strand entlang und fragen uns, wo ein anderer Weg nach oben führt? In diesem Fall ist es kein Weg sondern ein Aufzug. Gleich darauf befinden wir uns etwas deplatziert auf dem dicken Teppichboden der Lobby des "Cliff Hotel Rügen Ressort & Spa". Vor 40 Jahren wurde es durch das Zentralkomitee der SED sehr großzügig in bester Lage ageplant und 1978 als Erholungsheim Baabe eröffnet. Das Haus beherbergte damals Parteiigenossen aus befreundeten Ländern der DDR. Heute ist es auf's Feinste renoviert und die Größe des Hotelgeländes ist auch heute noch herausragend. Auf dem Parkplatz herrscht eine erhebliche SUV-Dichte. Nicht ganz unsere Welt. Uns zieht es wieder zurück an Bord.
Wir segeln weiter ostwärts vobei an Peenemünde nach Wolgast, wo wir an der Schlossinsel festmachen. Statt des Schlosses ist hier heute ein Werftgelände.
Wolgast liegt als "Tor nach Usedom" strategisch günstig und hatte so eine wechselvolle Geschichte. Erst waren es die Slawen, dann die Dänen, dann 1628 die kaiserlichen Truppen unter Wallenstein, die die Stadt beherrschten Es folgten die Schweden. Im großen Nordischen Krieg, wurden Stadt und Schloss vollständig niedergebrannt. Es folgten die Preußen. Den zweiten Weltkrieg überstand Wolgast, bis auf die Sprengung der Peenebrücke durch die Wehrmacht, ohne nennenswerte Zerstörungen, denn die Stadt wurde 1945 kampflos an die Rote Armee übergeben.
Wolgast hat eine hübsche Uferpromenade und im Stadtkern ettliche Baudenkmäler. Besonders sehenswert ist das Stadtmuseum Kaffeemühle.
Auf dem Weg durch das Achterwasser zur Zecheriner Brüche begegnen uns mehrfach Flußkreuzfahrtschiffe.
Direkt hinter der Brücke biegen wir nach Steuerbord ab in die Peene. Auf beiden Seiten Schilf, windet sich der Fluß 8 km nach Anklam, wo unsere Fahrt vor der Eisenbahnbrücke im "Verschiebebahnhof" des gastfreundlichen Motorboot-Club-Anklam endet. Aklam ist der Geburtsort des Flugpioniers Otto Lilienthal, dem hier ein eindrucksvolles Museum mit großen Modellen gewidmet ist. Daneben gibt es viele Bilder, fotografiert von Ottomar Anschütz, zu sehen, die die Flüge dokumentieren. Daraus wurde in heutiger Zeit digital ein Film zusammengesetzt. Schon dafür hat sich der Abstecher mehr als gelohnt.
Seit 1875 führte eine Eisenbahnlinie von Berlin über Usedom nach Swinemünde. 1933 wurde diese Strecke auf zwei Gleise erweitert und die Hubbrücke Karnin in Dienst gestellt. Leider nur für 11 Jahre, denn dann sprengte die Wehrmacht die festen Brückenteile, um die anrückende Rote Armee aufzuhalten, Das Hubteil blieb aber intakt, damit der Marine ein Fluchtweg blieb. Dieses technische Denkmal erinnert in seiner Bauweise an das Schiffshebewerk Niederfinow, durch das Troll 2015 auf dem Weg zur Ostsee gefahren ist.
Usedom ist nicht nur eine Insel, sondern es gibt auch den kleinen gleichnamigen Ort. Dieser bekam zu Ende des 13. Jahrhunderts Stadtrecht, Zollfreiheit und das Recht auf freien Fischfang im Haff. In seiner wechselvollen Geschichte ist Usedom mehrfach niedergebrannt, von der Pest nicht verschont geblieben und so nie zu wirklicher Blüte gekommen. Wir ahnen die Realität hinter dem alten Kinderreim "Maikäfer flieg, dein Vater ist im Krieg, die Mutter ist im Pommernland, Pommernland ist abgebrannt". Heute ist vom einstigen Schloss nur noch der Berg, und von der Stadtbefestigung ein Stück der Mauer und ein Stadttor erhalten. Warum also dorthin fahren?
Weil es geht und dort seit 2019 ein neuer Hafen vom Feinsten existiert, mit Waschmaschine, Trockner und modernen Duschen. Das Investitionsvolumen von rund 19,8 Millionen Euro wurde durch das Land Mecklemburg-Vorpommern erbracht und soll zur „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ dienen. Gut für uns Wasserwanderer, denn wir müssen nach einem Monat unterwegs endlich einmal Wäsche waschen.
Die Zufahrt durch den Usedomer See ist auf 2 m gebaggert, auch wenn man das kaum glauben mag, wenn man das Gras sieht, das auf beiden Seiten aus dem Wasser ragt. Uns istt vom Aufenthalt bleibend in Erinnerung, wie wir bein Frühstück durch ein seltsames Geräuch aufgeschreckt werden: Ba Ba Batsch Batsch. Ein Vogel hat im Flug ein Flächenbombardement aus rötlichen Fäkalien vom Bug, über die Segel, auf Ekkehards Kopf, den Frühstückstisch bis zur Rettungsinsel niedergehen lassen. Volltreffer.
Die letzte Station, bevor wir die Heimreise antreten, ist Ückermünde, eine lebendige kleine Stadt hier im äußersten Osten der Bundesrepublik.